Bereits im Mai 2009 schrieb die «Washington Post»: «Der schwache Punkt Obamas sind die Menschenrechte. » Heute ist das Foltergefängnis von Guantánamo trotz einem Wahlversprechen von US-Präsident Barack Obama immer noch nicht geschlossen. Und im afghanischen Bagram, dem grössten Militärkerker der Welt, werden gemäss Amnesty International die Gefangenen weiterhin aufs schlimmste misshandelt. Andererseits hat Barack Obama die Vereinigten Staaten in den Uno-Menschenrechtsrat zurückgeführt. Dort macht die kluge Botschafterin Eileen Chamberlain Donahoe, eine junge, dem Präsidenten persönlich nahestehende Afroamerikanerin, eine dynamische, mutige Politik. Sogar Aussenministerin Hillary Clinton kam zur Eröffnung der letzten Session nach Genf. Und hielt dort eine fl ammende Rede für das Primat des Völkerrechts.
DIE WAHL EINES PUTSCHISTEN. Die Botschafterinnen und Botschafter am Genfer Uno-Sitz rätseln: Welchem Obama soll man glauben? Dem moralisch motivierten Staatsmann, der die Menschenrechte schützen will, oder dem Machtpolitiker, der die Staatsraison über das Völkerrecht stellt? Ein kürzliches Ereignis sorgt für neue, schwere Zweifel an Obamas Glaubwürdigkeit. Als neuer Präsident des Selektionsausschusses des Menschenrechtsrates wurde dank intensivem amerikanischem Druck Roberto Flores, der Botschafter von Honduras, gewählt. Er hat damit entscheidende Kompetenzen. Denn er wählt die Sonderberichterstatter und Experten für die vom Rat eingesetzten Untersuchungskommissionen aus. Flores gehörte im Juni 2009 zu den Putschisten, die den demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya stürzten. Seither herrscht in dem geplagten Land wieder uneingeschränkt die Kaste der Grossgrundbesitzer, in Allianz mit den nordamerikanischen Bananenkonzernen. Das von Flores vertretene Regime ermordet Landarbeitergewerkschafter, foltert Oppositionelle, lässt routinemässig unliebsame Bürgerinnen und Bürger «verschwinden». Wie konnte es zur Wahl des Honduraners kommen? Sehr gut informierte Beobachter haben folgende Erklärung: Die von Marines bewachte, dreifach umzäunte Festung in Chambésy, wo die 53 bei der Uno akkreditierten Washingtoner Diplomatinnen und Diplomaten arbeiten, ist ein komplexes Universum. Botschafterin Betty E. King und ihre Menschenrechtsbeauftragte Eileen Donahoe sind zivilisierte, anständige Frauen mit höchster berufl icher Kompetenz. Hinter den Stacheldrahtverhauen in Chambésy residiert jedoch auch die CIA-Zentrale für Westeuropa.
REALPOLITIK. Und diese CIA-Agenten, meinen die Beobachter, machen ihre eigene Politik und infiltrieren die Uno-Instanzen. Die in Washington grassierende Konkurrenz zwischen Geheimdienst und Aussenministerium produziert höchst giftige Früchte in Genf: zum Beispiel die Einschleusung des Putschisten Roberto Flores in das wichtige Auswahlkomitee. Fazit: Die Glaubwürdigkeit des Uno-Menschenrechtsrates wurde ernsthaft beschädigt. Zum Nutzen der CIA und ihrer Realpolitiker in Washington.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein jüngstes Buch, «Der Hass auf den Westen», erschien auf deutsch im Herbst 2009.
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