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Massaker des Hungers
30.07.2011 | 15:58 Uhr

Massaker des HungersNach seiner Ausladung als Eröffnungsredner der Salzburger Festspiele veröffentlichte Jean Ziegler, langjähriger UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und derzeit Vizepräsident des beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrats, seine Rede über die dramatische Lage der Hungernden in der Welt:

Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. 37000 Menschen verhungern jeden Tag, und fast eine Milliarde sind permanent schwerstens unterernährt. Und derselbe Weltfood-Report der FAO (Welternährungsorganisation), der alljährlich diese Opferzahlen gibt, sagt, daß die Weltlandwirtschaft in der heutigen Phase ihrer Entwicklung problemlos das Doppelte der Weltbevölkerung normal ernähren könnte.

Schlußfolgerung: Es gibt keinen objektiven Mangel, also keine Fatalität für das tägliche Massaker des Hungers, das in eisiger Normalität vor sich geht. (…)

Ein Beispiel: die Tragödie, die sich gegenwärtig in Ostafrika abspielt. In den Savannen, Wüsten, Bergen von Äthiopien, Djibouti, Somalia und Tarkana (Nordkenia) sind zwölf Millionen Menschen auf der Flucht. Seit fünf Jahren gibt es keine genügende Ernte mehr. Der Boden ist hart wie Beton. Neben den trockenen Wasserlöchern liegen die verdursteten Zebu-Rinder, Ziegen, Esel und Kamele. Wer von den Frauen, Kindern, Männern noch Kraft hat, macht sich auf den Weg, in eines der vom UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge und vertriebene Personen eingerichteten Lager.

Zum Beispiel nach Dadaad, auf kenianischem Boden. Dort drängen sich seit drei Monaten über 400000 Hungerflüchtlinge. (…) Platz im Lager gibt es schon lange nicht mehr. Das Tor im Stacheldrahtzaun ist geschlossen. Vor dem Tor machen die UNO-Beamten die Selektion: Nur noch ganz wenige – die eine Lebenschance haben – kommen herein.

Das Geld für die intravenöse therapeutische Sondernahrung – die ein Kleinkind, wenn es nicht zu sehr beschädigt ist, in zwölf Tagen zum Leben zurückbringt – fehlt. Das Geld fehlt. Das Welternährungsprogramm, das die humanitäre Soforthilfe leisten sollte, verlangte am 1. Juli für diesen Monat einen Sonderbeitrag seiner Mitgliedstaaten von 180 Millionen Euro. Nur 62 Millionen kamen herein. Das normale WFP (World-Food-Programm)-Budget lag im Jahr 2008 bei sechs Milliarden Dollar. 2011 ist das reguläre Jahresbudget noch 2,8 Milliarden. Warum? Weil die reichen Geberländer – insbesondere die EU-Staaten, die USA, Kanada und Australien – viele tausend Milliarden Euros und Dollars ihren einheimischen Bankhalunken bezahlen mußten: zur Wiederbelegung des Interbanken-Kredits, zur Rettung der Spekulationsbanditen. Für die humanitäre Soforthilfe (und die reguläre Entwicklungshilfe) blieb und bleibt praktisch kein Geld. (…)

Die Tonne Getreide kostet heute auf dem Weltmarkt 270 Euro. Ihr Preis war genau die Hälfte im Jahr zuvor. Reis ist um 110 Prozent gestiegen. Mais um 63 Prozent. (…)

Dazu kommt: Die Länder des Horns von Afrika sind von ihren Auslandsschulden erdrückt. Für Infrastrukturinvestitionen fehlt das Geld. In Afrika südlich der Sahara sind bloß 3,8 Prozent des bebaubaren Bodens künstlich bewässert. In Wollo, Tigray, Shoa auf dem äthiopischen Hochland, in Nordkenia und Somalia noch weniger. Die Dürre tötet ungestört. Diesmal wird sie viele Zehntausende töten.

Viele der Schönen und der Reichen, der Großbankiers und der Konzernmogule dieser Welt kommen in Salzburg zusammen. Sie sind die Verursacher und die Herren dieser kannibalischen Weltordnung.


Jan Ziegler aus jungeWelt


 
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