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Bundesweite Demonstration - Aufruf
15.05.2013 | 18:44 Uhr

Bundesweite Demonstration
25. Mai 2013
13 Uhr, Solingen Südpark (Bahnhof Solingen-Mitte)

Am Jahrestag des Anschlages, am 29. Mai finden außerdem in Solingen zwei Gedenkveranstaltungen statt: 19 Uhr Kundgebung am Rathaus, 19.30 Uhr Gedenkdemonstration zum Ort des Brandanschlages

20 Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen:
Kein Vergeben, kein Vergessen! - Das Problem heißt Rassismus!

Am 29. Mai 1993 verübten vier junge Männer einen Brandanschlag auf das
Haus der Familie Genç. Gürsün Ince, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç starben in den Flammen bzw. beim Sprung aus dem Fenster, weitere Familienmit­glieder wurden teilweise schwer verletzt. Drei Tage zuvor hatte der Deutsche Bundestag mit der Einführung der sogenannten Drittstaatenregelung das Grundrecht auf Asyl in Deutschland faktisch abgeschafft. Beide Ereignisse jähren sich im Mai 2013 zum 20. Mal.

„Das Boot ist voll!“ - Rassistische Hetze zu Beginn der 1990er Jahre

Die Täter von Solingen kamen nicht aus dem Nichts: Monatelang war in den Medien unter der Parole „Das Boot ist voll!“ gegen „Ausländer“ gehetzt und von einer „Asylantenflut“ halluziniert worden. Bereits seit Beginn der 1980er Jahre hatte die CDU Maßnahmen gegen einen vermeintlichen „Asylmiss­brauch“ gefordert. Zu Beginn der 1990er Jahre nahm sie den Anstieg der Asylanträge zum Anlass, die Kampag­ne im wiedervereinigten Deutschland gesellschaftlich zu verankern.

„Deutschland den Deutschen – Auslän­der raus!“ wurde nicht nur zur Parole der Neonazis: Bei tagelangen pogrom­artigen Angriffen auf Unterkünfte von Geflüchteten und MigrantInnen in Hoyerswerda und Rostock-Lichten­hagen applaudierten Nachbar_innen dem Brandsätze werfenden Mob, während Polizei und Ordnungsbehör­den streckenweise tatenlos zusahen oder erst gar nicht bzw. viel zu spät erschienen.

Anstatt die Opfer zu schützen und sich mit ihnen zu solidarisieren, schoben ihnen die politisch Verantwortlichen nachträglich sogar die (Mit)Schuld an den Anschlägen zu. Frei nach dem Motto, dass Geflüchtete und MigrantInnen durch ihre bloße (provozierende) Anwesenheit Schuld an den Angriffen tragen würden.
Nur wenige Tage nach den Angriffen in Rostock ließ der damalige Ministerpräsident des Landes Mecklen­burg-Vorpommern, Berndt Seite (CDU), verlauten: „Die Vorfälle der vergangenen Tage machen deutlich, dass eine Ergänzung des Asylrechts dringend erforderlich ist, weil die Bevölkerung durch den ungebremsten Zustrom von Asylanten überfordert wird“. Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen waren keine Einzelfälle. Allein 1992 kam es zu rund 2.000 rassistischen Anschlägen und Über­griffen. 17 Menschen wurden allein in jenem Jahr von Neonazis umgebracht.

1993: Die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl

Angesichts der rechten Gewaltexzesse hielt es im Dezember 1992 schließlich auch die SPD-Opposition für geboten, dem sogenannten Asylkompromiss zu­zu­stimmen. Am 26. Mai 1993 wurde im Bundestag die Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes beschlossen.: Die sogenannte Dritt­staaten­regelung legte von nun an fest, dass das Grundrecht auf Asyl nicht mehr für Menschen gilt, die über ein anderes Land der Europäischen Union bzw. ein angeblich „sicheres Drittland“ einreisen. Das Grundrecht auf Asyl wurde somit faktisch abge­schafft. Drei Tage später brannte das Haus der Familie Genç.

Der Verfassungsschutz und die Täter von Solingen

Die verurteilten Täter von Solingen im Alter von 16 bis 23 Jahren waren keine bekannten oder gar führenden Neona­zis, sie bewegten sich am Rande der extrem rechten Szene. Bei einigen von ihnen schien es keinen Plan für die Tat gegeben zu haben, der Entschluss fiel offenbar recht spontan. Die eigene rassistische Grundeinstel­lung, die von der unsäglichen „Asyldebatte“ geprägte gesellschaftliche Stimmung, die Moti­vation, „mal was gegen die Aus­länder tun zu müssen“, eine bierse­li­g ent­hemmte Stimmung und jemand, der ein kon­kretes Ziel vorschlug, wurden zur tödlichen Mix­tur.

Entgegen den offiziellen Aussagen Ver­laut­barungen existierte auch in Solingen eine extrem rechte Szene, die bis ins organisierte Spektrum reichte und zu der die Täter Kontakt hatten. Drei von ihnen nahmen an Kampfsporttrainings des „Deutschen Hochleis­tungs­kampfkunst­verbandes“ (DHKKV) in Solingen teil, das von Bernd Schmitt geleitet wurde. Ein Großteil der Teilnehmer_innen dieses Trainings stammte aus der organisierten Neonaziszene. Auf Initiative des Vorsitzenden der Ende 1992 verbotenen „Nationalistischen Front“ (NF), Meinolf Schönborn, bildete Schmitt Neonazis für Saalschutz-Aufgaben und gewalttätige Ausein­ander­setzungen mit dem politischen Gegner aus. Schönborns Ziel war es, Kämpfer für den Aufbau eines „Nationalen Eingreifkomman­dos“ heran­zuziehen. Doch auch andere Rechtsaußen-Grup­pierungen hatten zeitweise ein Auge auf die Kampfsport­schule geworfen, beispiels­weise „Die Republikaner“, ebenfalls bemüht, eine schlagkräftige Truppe aufzubauen. Für den nicht sichtbar politisch aktiven Schmitt, der nie Berührungsängste zur extremen Rech­ten hatte, war dies nicht zuletzt ein lukratives Geschäft: Er hatte sich schon zuvor vom Verfassungs­schutz als bezahlter V-Mann anwerben lassen, dem er seine beim DHKKV gewon­nenen Erkenntnisse über die Szene verkaufte. Unter den Augen des VS konnte sich also die Neonazi-Szene in Solingen unter tatkräftiger Mitwirkung eines V-Manns vernetzen und zu „Kämpfern“ ausbilden lassen. Und Solinger Jugendliche und Heran­wachsende trainierten mit...

2012: Der Verfassungsschutz und der „Nationalsozialistische Untergrund“

Lässt man die Ereignisse rund um den Brandanschlag von Solingen noch einmal Revue passieren, dann stellt sich die Frage, wieso es beinahe 20 weitere Jahre brauchte, bis auch in Teilen des bürgerlichen Spektrums Methoden und teilweise auch die Existenz des VS infrage gestellt wurden. Seit November 2011 wird gegen Mitglieder und Unter­stüt­zerInnen der Naziterrorgruppe „Nati­o­nal­sozialis­tischer Untergrund“ (NSU) ermittelt, immer wieder kommen neue Fakten über die Verstrickungen des VS in den Fall ans Licht.

Fest steht, dass der NSU um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe mindestens neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen, bei zwei Anschlägen in Köln Menschen verletzt, sowie in Heilbronn eine Polizistin ermordet und ihren Kollegen schwer verletzt hat. Über Jahre richtete der NSU unbehelligt Menschen hin, die nicht in ihr nationalsozialistisches Weltbild passten. Die Fahndungs­be­hör­den zogen einen rassistischen Hinter­grund der Taten nicht ernsthaft in Betracht. Stattdessen wurden die Opfer zu Tätern gemacht, es wurde einseitig im „migrantischen Milieu“ ermittelt. Die mit den Fällen befasste Kommis­sion wurde – offenbar in der sicheren Annahme, dass es
sich bei den Tätern um „Türken“ handeln müsse – „Soko Bosporus“ getauft; die Medien taten ihr Übriges, um die Opfer zu diskre­ditieren, indem sie die Anschläge zynisch als „Dönermorde“ titulierten. Die Existenz einer Naziterrorgruppe schien angeblich unvorstellbar.

Im Laufe der Ermittlungen wurde u.a. bekannt, dass Verfassungsschutz-behörden über Jahre hinweg Personen aus dem direkten Umfeld des NSU-Trios als V-Leute „geführt“ und bezahlt hatten. Wie tief die Ver­strickungen des VS reichen, wird wohl niemals ab­schließend geklärt werden können, zumal aktenweise Beweis­material vernich­tet wurde.

Der Anschlag von Solingen und die Morde des NSU sind nur zwei Beispiele, die verdeutlichen, dass der VS als Behörde weder willens noch von seiner Aufgabenstellung in der Lage ist, rechte Umtriebe zurückzu­drängen und hier lebende Menschen zu schützen. Im Gegenteil: Durch das gezielte Anwerben von bezahlten V-Leuten in der extremen Rechten wird die Szene sogar noch unterstützt. Indirekt aber auch dadurch, indem antifa­schistischen und antirassistischen Initiativen, die den Inlandgeheim­diensten oftmals als „verfassungs­feindlich“ gelten, die Arbeit erschwert werden. Bis heute ist der VS unkontrollier­bar. Und gehört abge­schafft.

Im Kampf gegen Rassismus und Neofaschismus ist jedeR gefragt

Die rassistische Diskriminierung von Menschen in Deutschland verlangt das Engagement jedes und jeder Einzel­nen. Die hiesige Migrations­politik sorgt mit Residenzpflicht, Arbeits­verboten oder Abschiebe­knästen für die gesellschaftliche Isolation und Ausgrenzung von Migrant_innen und Geflüchteten. Die Abschiebepolitik Deutschlands hat inzwischen zahl­reiche Menschenleben auf dem Gewissen: in den Abschiebeknästen, in den Flugzeugen oder in den angeblich sicheren vermeintlichen „Herkunfts­ländern“. Der institutionelle Rassismus und die Angriffe von Neonazis sind zwei verschiedene Ausformungen des gleichen Problems – und gehen im schlimmsten Fall Hand in Hand.

Es gilt auch, den gesell­schaftlichen Rassismus zu bekämpfen. Im November 2012 veröffentlichte die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie, derzufolge neun Prozent aller Deutschen ein „geschlossen rechtsex­tremes Weltbild“ haben. Nur 35,6 Prozent lehnen die These „Die Bundes­republik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfrem­det“ entweder „völlig“ oder „überwie­gend“ ab.

Da wundert es nicht, dass aktuell in vielen Städte angesichts angeblicher „Asylantenfluten“ die „deutsche Volksseele kocht und ganz
„normale“ Bürger_innen auf die Idee kommen, Lichterketten gegen die
Unterbringung von Roma zu organisieren, wie beispielsweise in Essen
geschehen.

Flankiert wird derlei beispielsweise von Bundes­innenminister Friedrich, der Asylanträge von Menschen aus Serbien und Mazedonien als „nicht akzeptabel“ bezeichnete, weil die Antragstel­ler_innen angeblich die deutschen Asylkriterien nicht erfüllten: "Das ist ein Ausnutzen unseres Systems und ich nenne es Missbrauch." Medien wie „Spiegel TV“ texteten zur Unter­brin­gung von Roma in
Duisburg-Hochfeld: „Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien verwandeln
ganze Wohn­viertel in soziale Notstands­ge­biete.“ 20 Jahre nach den Morden von Solingen, 20 Jahre nach der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl sind sich offenbar (fast) alle einig: Das Problem sind die Roma, also müssen sie weg.

All jene, die sich mit Grauen an die Brandanschläge der 1990er Jahre erinnern, die angesichts der Hinrich­tungen durch den NSU Entsetzen empfinden und denen sich angesichts des alltäglichen Rassismus der Magen umdreht: Wir alle sind gefragt!

Solidarität mit den Opfern von Rassismus!

Unterstützung der Geflüchteten in ihren Kämpfe für das Recht zu leben, wo immer sie wollen! - Grenzen auf!

Unterstützung antirassistischer und antifaschistischer Initiativen, die den Kampf gegen Rechts organisieren!

Auflösung des Verfassungsschutzes und sofortiger Stopp jeglicher Subventionen rechter Organisa­tionen durch staatliche Behörden!

Das Problem heißt Rassismus! Bekämpfen wir ihn – immer und überall.




 
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