14.02.2013
Eric Tistounet ist einer der brillantesten Juristen des ganzen Uno-Systems. Er ist Generalsekretär des Menschenrechtsrates. Ihn schickte die Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, nach Tel Aviv. Er sollte die dortige Regierung zur Vernunft bringen. Was war geschehen?
BLICK ZURÜCK. Im September 2005 stand die Uno-Menschenrechtskommission vor dem unüberbrückbaren Konflikt zwischen den progressiven Drittweltstaaten unter Führung Venezuelas, Algeriens, Kubas und dem westlichen Staatenblock unter Führung der USA. Die Kommission war damit praktisch funktionsunfähig geworden. Uno-Generalsekretär Kofi Annan löste sie auf. Hinter verschlossenen Türen spielte sich in den folgenden Monaten ein Drama ab. Die Regierung George Bush wollte überhaupt keine Uno-Menschenrechtsbehörde mehr! Unter Führung der Schweiz bildete sich eine effiziente Widerstandsgruppe. Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, Staatssekretär Michael Ambühl und der Schweizer Uno-Botschafter Peter Maurer kämpften für einen neuen Menschenrechtsrat. Im März 2006 erzwang Calmy-Rey gegen den Willen der USA eine Abstimmung in der Uno-Generalversammlung – und gewann. Der neue Rat brachte zwei bahnbrechende Neuerungen. Die erste: Er tagt fortan permanent, und sein Sitz ist Genf, weit weg von US-Intrigen. Die zweite: Die Uno-Mitgliedstaaten müssen sich alle vier Jahre einem Generalexamen («universal review») im Hinblick auf ihre nationale Menschenrechtspolitik unterziehen. Am 4. Juli 1776 verabschiedeten die Gründerväter der USA die erste Menschenrechtserklärung. Welche Macht denn diesen Menschenrechten zum Durchbruch verhelfen könne, wurde Benjamin Franklin, einer der Verfasser, gefragt. Seine Antwort: «Die Macht der Schande».
NETANYAHUS NEIN. Die israelische Regierung betreibt Land- und Wasserraub in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten. Sie lässt immer wieder das Ghetto von Gaza bombardieren. Amnesty International listet im letzten Jahresbericht Fälle vom Folter an palästinensischen Gefangenen auf. Im Januar sollte sich nun Israel turnusgemäss der «universal review» stellen, neben 13 weiteren Staaten. Doch die Regierung Benjamin Netanyahu ignorierte die Vorladung. Auch Generalsekretär Tistounet blitzte bei seiner Mission ab: Die Weigerung sei definitiv, beschied ihm die israelische Regierung. Für den Menschenrechtsrat ist das eine Katastrophe. Israel ist der erste Staat der Welt, der sich weigert, dem Menschenrechtsrat Red und Antwort zu stehen. Dies dürfte jene vielen Staaten freuen, die von furchtbaren Tyrannen regiert werden. Denn sie haben jetzt endlich den Vorwand gefunden, um der Verurteilung ihrer Verbrechen zu entgehen.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neuestes Buch, «Wir lassen sie verhungern», ist im September 2012 auf deutsch erschienen.
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