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»Ein Sieg gewerkschaftlicher Demokratie«
30.05.2011 | 13:34 Uhr

Ver.di-Gewerkschaftsrat beerdigt Initiative zur »Tarifeinheit«.
Ein Gespräch mit Wolfgang Däubler

Wolfgang Däubler ist Professor für Arbeitsrecht an der Uni
Bremen
Der ver.di-Gewerkschaftsrat hat beschlossen, seine
Unterstützung der DGB/BDA-Initiative zur gesetzlichen
Festschreibung der sogenannten Tarifeinheit zurückzuziehen. Was
bedeutet das?


Damit ist die Initiative praktisch tot. Denn ver.di war im DGB die
treibende Kraft beim Zusammengehen mit den Arbeitgebern. IG Metall
und IG BCE werden sie wohl nicht alleine weiterführen, denn sie
haben kaum Konkurrenz von Spartengewerkschaften zu
befürchten.

Ver.di-Chef Frank Bsirske hat lange verbissen für den Vorstoß
gekämpft. Wie erklären Sie sich diesen plötzlichen
Rückzug?


Zahlreiche ver.di-Mitglieder haben erkannt, daß der Weg über die
gesetzlich verordnete Tarifeinheit in die Irre führt. Das Votum
einer Vielzahl von Landesbezirks-, Fachbereichs- und
Personengruppenkonferenzen war eindeutig: Sie haben eine
Einschränkung des Rechts auf Streik klar zurückgewiesen. Diesem
Druck hat der Vorsitzende richtigerweise nachgegeben.

Sie sind von Beginn an als Kritiker der Forderung nach
»Tarifeinheit« aufgetreten. Warum?


Um nur die wichtigsten Argumente zu nennen: Erstens wurde der
Schulterschluß mit den Arbeitgebern auf höchster Ebene durch die
Vorsitzenden entschieden, ohne daß auch nur alle
Vorstandsmitglieder eingeweiht waren. Zweitens: Wenn man das Faß
»Tarifrecht« und »Arbeitskampf« erst einmal aufmacht und eine
Intervention des Gesetzgebers verlangt, kann es sein, daß man
plötzlich etwas ganz anderes bekommt – zum Beispiel eine
obligatorische Schlichtung in jeder Tarifrunde oder
»Abkühlungsfristen« vor einem Streik. Solche Regelungen würden auch
die Kampfkraft der DGB-Gewerkschaften schwächen. Drittens hat man
nicht nach den Ursachen gefragt, weshalb die Spartengewerkschaften
so stark geworden sind. Daran hat ja womöglich auch die eigene
Tarifpolitik ihren Anteil. Viertens kann sich das von DGB und BDA
propagierte Mehrheitsprinzip auch zu Lasten der DGB-Gewerkschaften
auswirken. Zum Beispiel in den Zeitungsredaktionen hat oft der
Deutsche Journalisten-Verband (DJV) mehr Mitglieder als ver.di.
Selbst im Krankenhaus kann der Marburger Bund stärker sein, weil
der Organisationsgrad der Ärzte deutlich höher ist als der des
Pflegepersonals. Last but not least hatten viele Juristen
verfassungsrechtliche Bedenken. Einzelnen Gewerkschaften faktisch
das Recht zu nehmen, in Zukunft Tarifverträge abzuschließen,
verstößt gegen die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs.3 Grundgesetz.

Ist es nicht ungewöhnlich, daß sich ein Gewerkschaftsrat –
immerhin das höchste Gremium zwischen den Gewerkschaftstagen – von
einer Vorstandsposition distanziert?


Doch, ich kann mich an keinen vergleichbaren Fall erinnern. Für die
Führung ist das eine herbe Niederlage. Und dies auch deshalb, weil
man alle Register gezogen hat, um die eigene Position
durchzusetzen: In den gewerkschaftlichen Publikationsorganen
sollten keine kritischen Aufsätze zur Tarifeinheitsinitiative
veröffentlicht werden. Das wurde zwar nirgends schriftlich
niedergelegt, aber die Aussagen am Telefon waren eindeutig. Auch
ist es passiert, daß ein Gewerkschaftsvorsitzender auf einer Tagung
der Hans-Böckler-Stiftung nicht einmal ein Grußwort gesprochen hat,
weil im Plenum ein Sozialwissenschaftler referierte, der die
gewerkschaftliche Entwicklung der letzten 20 Jahre eher kritisch
analysierte. Doch das hat alles nichts genutzt.

Also ein Sieg der Basis?

Ja, wobei man ein wenig differenzieren muß. Diejenigen, die über
diese Frage diskutiert und Beschlüsse gefaßt haben, waren
normalerweise nicht einfache Mitglieder, sondern Hauptamtliche und
Betriebsräte, eben die Aktiven. Hinzu kam eine Menge Unterstützung
von außen. Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat sich
kritisch geäußert, ebenso einer ihrer Vorgänger sowie einige
Arbeitsrechtsprofessoren. Auch innerhalb der Ministerien gab es
viele, die für die Initiative wenig Sympathien hatten. Wenn die
innergewerkschaftliche Opposition weiß, daß sie nicht allein steht,
kämpft es sich leichter. Und die kritischen Argumente, die man in
der Gewerkschaftspresse nicht mehr lesen kann, lassen sich unschwer
in bestimmten Tageszeitungen oder im Internet finden. Das Ganze ist
zu einem der seltenen Siege der innergewerkschaftlichen Demokratie
geworden.


Daniel Behruzi in jungeWelt


 
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