Ver.di-Gewerkschaftsrat beerdigt Initiative zur »Tarifeinheit«. Ein Gespräch mit Wolfgang Däubler Wolfgang Däubler ist Professor für Arbeitsrecht an der Uni Bremen Der ver.di-Gewerkschaftsrat hat beschlossen, seine Unterstützung der DGB/BDA-Initiative zur gesetzlichen Festschreibung der sogenannten Tarifeinheit zurückzuziehen. Was bedeutet das?
Damit ist die Initiative praktisch tot. Denn ver.di war im DGB die treibende Kraft beim Zusammengehen mit den Arbeitgebern. IG Metall und IG BCE werden sie wohl nicht alleine weiterführen, denn sie haben kaum Konkurrenz von Spartengewerkschaften zu befürchten.
Ver.di-Chef Frank Bsirske hat lange verbissen für den Vorstoß gekämpft. Wie erklären Sie sich diesen plötzlichen Rückzug?
Zahlreiche ver.di-Mitglieder haben erkannt, daß der Weg über die gesetzlich verordnete Tarifeinheit in die Irre führt. Das Votum einer Vielzahl von Landesbezirks-, Fachbereichs- und Personengruppenkonferenzen war eindeutig: Sie haben eine Einschränkung des Rechts auf Streik klar zurückgewiesen. Diesem Druck hat der Vorsitzende richtigerweise nachgegeben.
Sie sind von Beginn an als Kritiker der Forderung nach »Tarifeinheit« aufgetreten. Warum?
Um nur die wichtigsten Argumente zu nennen: Erstens wurde der Schulterschluß mit den Arbeitgebern auf höchster Ebene durch die Vorsitzenden entschieden, ohne daß auch nur alle Vorstandsmitglieder eingeweiht waren. Zweitens: Wenn man das Faß »Tarifrecht« und »Arbeitskampf« erst einmal aufmacht und eine Intervention des Gesetzgebers verlangt, kann es sein, daß man plötzlich etwas ganz anderes bekommt – zum Beispiel eine obligatorische Schlichtung in jeder Tarifrunde oder »Abkühlungsfristen« vor einem Streik. Solche Regelungen würden auch die Kampfkraft der DGB-Gewerkschaften schwächen. Drittens hat man nicht nach den Ursachen gefragt, weshalb die Spartengewerkschaften so stark geworden sind. Daran hat ja womöglich auch die eigene Tarifpolitik ihren Anteil. Viertens kann sich das von DGB und BDA propagierte Mehrheitsprinzip auch zu Lasten der DGB-Gewerkschaften auswirken. Zum Beispiel in den Zeitungsredaktionen hat oft der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) mehr Mitglieder als ver.di. Selbst im Krankenhaus kann der Marburger Bund stärker sein, weil der Organisationsgrad der Ärzte deutlich höher ist als der des Pflegepersonals. Last but not least hatten viele Juristen verfassungsrechtliche Bedenken. Einzelnen Gewerkschaften faktisch das Recht zu nehmen, in Zukunft Tarifverträge abzuschließen, verstößt gegen die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs.3 Grundgesetz.
Ist es nicht ungewöhnlich, daß sich ein Gewerkschaftsrat – immerhin das höchste Gremium zwischen den Gewerkschaftstagen – von einer Vorstandsposition distanziert?
Doch, ich kann mich an keinen vergleichbaren Fall erinnern. Für die Führung ist das eine herbe Niederlage. Und dies auch deshalb, weil man alle Register gezogen hat, um die eigene Position durchzusetzen: In den gewerkschaftlichen Publikationsorganen sollten keine kritischen Aufsätze zur Tarifeinheitsinitiative veröffentlicht werden. Das wurde zwar nirgends schriftlich niedergelegt, aber die Aussagen am Telefon waren eindeutig. Auch ist es passiert, daß ein Gewerkschaftsvorsitzender auf einer Tagung der Hans-Böckler-Stiftung nicht einmal ein Grußwort gesprochen hat, weil im Plenum ein Sozialwissenschaftler referierte, der die gewerkschaftliche Entwicklung der letzten 20 Jahre eher kritisch analysierte. Doch das hat alles nichts genutzt.
Also ein Sieg der Basis?
Ja, wobei man ein wenig differenzieren muß. Diejenigen, die über diese Frage diskutiert und Beschlüsse gefaßt haben, waren normalerweise nicht einfache Mitglieder, sondern Hauptamtliche und Betriebsräte, eben die Aktiven. Hinzu kam eine Menge Unterstützung von außen. Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat sich kritisch geäußert, ebenso einer ihrer Vorgänger sowie einige Arbeitsrechtsprofessoren. Auch innerhalb der Ministerien gab es viele, die für die Initiative wenig Sympathien hatten. Wenn die innergewerkschaftliche Opposition weiß, daß sie nicht allein steht, kämpft es sich leichter. Und die kritischen Argumente, die man in der Gewerkschaftspresse nicht mehr lesen kann, lassen sich unschwer in bestimmten Tageszeitungen oder im Internet finden. Das Ganze ist zu einem der seltenen Siege der innergewerkschaftlichen Demokratie geworden.
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