3.02.2011
Die afrikanische Sonne stieg rot über dem Himmel von Karthago auf. Zwei unangemeldete Besucher traten in das pompöse Büro im Präsidentenpalast hoch über dem punischen Hafen: Rachid Ammar, ein drahtiger Mann mittleren Alters, ehemals Stabschef der Armee, und Kamel Morjane, ein älterer Herr mit gütigem Blick, der dreiviertel seines Berufslebens als hoher Uno-Beamter in Genf verbracht hatte. Jetzt war er Aussenminister. Die beiden Besucher machten es kurz: Die Armee werde nicht auf die Aufständischen schiessen, und selbst die Amerikaner seien der Meinung, der Präsident solle gehen. Es war Freitagmorgen, der 14. Januar. Um 17 Uhr sass Zine el-Abidine Ben Ali in einer Boeing 737, Destination Malta. 23 Jahre der Korruption, der Plünderung, der Folter, der Polizeiwillkür, kurz: der Diktatur, waren zu Ende.
DER FUNKE. «Ein Volk von Helden», sagte der römische Feldherr Cato der Ältere über die Punier, die heutigen Tunesier. Im zweiten vorchristlichen Jahrhundert hatten sie Rom die Weltherrschaft streitig gemacht. Im Jahr 2010 hatte der Volksaufstand am 17. Dezember mit der Selbstverbrennung des jungen Gemüsehändlers Mohammed Buazizi begonnen. Die Polizei von Sidi Bouzid, die er nicht bestechen wollte, hatte seinen Gemüsekarren, die Lebensgrundlage seiner Familie, zertrümmert. Sein Begräbnis war der Funke, der den Feuerbrand des Aufstands in ganz Tunesien entzündete. Die tunesische Revolution hat tausend Gründe. Ein Produkt aber steht im Mittelpunkt des Geschehens: la Baguette, das Weizenbrot, das die Tunesier vom französischen Protektorat geerbt haben. Der Preis der Baguette, des Grundnahrungsmittels der Armen, hat sich seit dem letzten September verdreifacht. Warum? Weil auf dem Weltmarkt der Preis für eine Tonne Weizen auf 270 Euro hochgeschnellt ist, das Doppelte des Vorjahrespreises. Und warum ist der Weltmarktpreis explodiert? Weil mit Termingeschäften, Futures und allerhand anderen Schlichen die Hedge- Funds an den Agrarrohstoffbörsen in Chicago und London riesige Profite einheimsen.
DIE IRONIE. «Die Ironie der Geschichte»: Der abgedroschene Begriff stammt von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der von 1818–1831 Philosophie an der Berliner Universität lehrte. Er hatte diese «Ironie» am eigenen Leib erlebt. Vom autokratischen Preussenkönig berufen, hatte Hegel im Hörsaal fast nur republikanische, revolutionäre Studenten vorgefunden. Napoleon hatte Preussens Dynastie vorübergehend gestürzt. Obgleich selber ein Autokrat, hatte er den Freiheitswillen der Jungen geweckt. Hegels Ausspruch passt ausgezeichnet auf Tunesien. Die Spekulanten der Agrarbörsen trieben in ihrer grenzenlosen Profitgier den Weltmarkpreis für Getreide in ungeahnte Höhen. Die ärmsten Schichten Tunesiens können ihr Brot nicht mehr bezahlen. Sie hungern. Und sie stehen auf. Sie verjagen den Tyrannen, der 23 Jahre als folgsamer Statthalter den westlichen Kapitalisten gedient hat.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein jüngstes Buch, «Der Hass auf den Westen», erschien auf deutsch im Herbst 2009.
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