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1:0 für die «kleinen Blondinen»
11.06.2010 | 11:45 Uhr

Mobbing, sexuelle Belästigung, Männerbündlerei und systematische Diskriminierung bei Lohn und Beförderungen: Zwölf Novartis- Angestellte haben in New York geklagt. Vor der ersten Instanz mit durchschlagendem Erfolg.
Siehe auch CK-Meldung vom 20.5.2010
«Er war kein schlechter Manager. Bloss sein Umgang mit Frauen war furchtbar.» Das sagte Novartis-Anwalt Richard H. Schnadig in seinem einleitenden Plädoyer zum bisher grössten Diskriminierungsprozess in den USA. Der nicht so schlechte Manager heisst Brian Aiello. Er war lange Zeit Bezirksleiter bei Novartis Pharmaceutical Corporation, der US-Tochterfirma von Novartis. Sie beschäftigt etwa 11000 Angestellte und machte 2009 einen Jahresumsatz von 9,5 Milliarden Dollar. Für das Marketing der Novartis-Pharmaprodukte stellte der gewiefte Verkaufschef vorzugsweise Frauen ein, die «gut aussahen». Die nötigte er dann, mit ihm zusammen Pornos anzuschauen. Das steht in der Anklageschrift. Jamie H., eine der zwölf Klägerinnen, die in New York aussagten, beklagte sich bei der Personalabteilung über Aiellos sexuelle Belästigung. Doch man sagte ihr, solange der Mann sie nicht physisch verletze oder bedrohe, würde Novartis keine disziplinarischen Massnahmen ergreifen. 2004 bereits startete die Hauptklägerin Amy Velez die Diskriminierungsklage gegen Novartis. Doch es sollte noch weitere zwei Jahre dauern, bis sich die Firma endlich von Aiello trennte.

GROB SCHULDHAFT Ein Vorgesetzter wie Aiello, der Angehörige von Minderheiten pauschal als dumm und Afroamerikanerinnen als potthässlich bezeichnete, ist ein krasser Fall von Führungsinkompetenz. Und damit versuchte sich Novartis denn auch herauszureden: Einzelne Fälle von frauenfeindlichen Vorgesetzten würden noch keine böse Absicht des gesamten Unternehmens belegen. Das Mutterhaus in Basel, das für das Verhalten der USTochter rechtlich voll verantwortlich ist, betonte immer wieder, Novartis zeichne sich weltweit geradezu durch die Förderung von Frauen und Minderheiten aus.
Ganz anderer Ansicht war das Geschworenengericht in New York. Der Pharmakonzern wurde Ende Mai nicht bloss zur Zahlung von 3,36 Millionen Dollar Entschädigung an die zwölf anwesenden Novartis- Angestellten verurteilt. Die Richterin brummte Novartis USA ausserdem eine Busse von 250 Millionen für die andauernde und systematische Benachteiligung aller weiblichen Angestellten auf. Rund 5600 Frauen, die zwischen 2002 und 2007 in den USA bei Novartis arbeiteten, sind nun gemäss Sammelklage berechtigt, von ihrem Arbeitgeber ebenfalls noch Entschädigungen und Lohnnachzahlungen einzufordern.
Die zu erwartende Schadenersatzsumme wird auf eine Milliarde Dollar geschätzt. Für den drittgrössten Pharmakonzern der Welt (Jahresumsatz 2009: 45 Milliarden Franken) ist dieser Betrag finanziell verkraftbar. Das grössere Problem ist der Imageverlust: Denn das Urteil bedeutet gemäss US-amerikanischer Rechtsprechung: Das Verhalten von Novartis gegenüber den Frauen war nicht bloss fahrlässig sondern grob schuldhaft.

MÄNNERSEILSCHAFTEN Ungleiche Löhne, ungleiche Beförderungen und diskriminierende Behandlung in der Schwangerschaft lauten die drei Hauptklagepunkte gegen Novartis. Das Gericht hat die Lohndiskriminierung der Frauen auf etwa 100 Dollar pro Monat berechnet. Eine Klägerin, Roberta V., sagt, ihr Mann, der in der gleichen Funktion wie sie bei Novartis arbeitete, habe fast 15000 Dollar im Jahr mehr verdient als sie. Dies, obwohl sie selber zehn Jahre mehr Berufserfahrung als ihr Mann aufweise.
Die Anklageschrift und die Aussagen der Zeuginnen belegen aber nicht bloss die finanzielle Benachteiligung der Frauen. Ans Licht kommt auch eine unglaublich frauenfeindliche, ja frauenverachtende Unternehmenskultur. Kate Kimpel, eine Anwältin der Klägerinnen, fasste es so zusammen: «Novartis ist kein wünschenswerter Arbeitsplatz für unsere Ehefrauen, Mütter, Schwestern oder Töchter.»
In den USA kommt unfaire Behandlung schlecht an. Denn dank der Bürgerrechtsbewegung rund um Martin Luther King gibt es hier seit dem Jahr 1964 ein umfassendes und gesellschaftlich sehr hoch geachtetes Antidiskriminierungsgesetz. Dieses konnte nun für die Gleichstellung der Frauen herangezogen werden.
Dieses politische Detail haben die vor dem Prozess so siegesgewissen Novartis-Bosse vielleicht unterschätzt. Jedenfalls dominieren in diesem Weltkonzern auch im 21. Jahrhundert offenbar noch die alten Männerseilschaften: Die Klageschrift nennt Vorgesetzte, die Frauen bei der Beförderung übergehen, wenn es nicht anders geht, sogar mit gefälschten Arbeitszeugnissen. Manager, die schwangeren Mitarbeiterinnen die Kündigung nahelegen oder sie mittels Versetzungen und Arbeitsreorganisationen wegmobben. Chefs, die krank geschriebene Frauen als Simulantinnen beschimpfen. Weibliche Vorgesetzte, die junge Mütter als unliebsame Konkurrenz ausbooten.

KARRIEREFÖRDERNDER SEX Die meisten der betroffenen Frauen arbeiteten im Aussendienst des Pharmakonzerns, im Arzneimittelverkauf. Und da, bei der Anwerbung der Herren Doktoren, gab es neben den erwähnten Lohn- und Beförderungspraktiken offenbar auch jede Menge sogenannt weicher Diskriminierung. Die Anklageschrift erwähnt anzügliche Sprüche über «pralle Brüste» und «knackige Hintern». Einen gewissen Druck zum karrierefördernden Sex. Kurzum: Es herrschte ein «verkaufsförderndes » Klima, das von Novartis geduldet und gestützt wurde. Die Personalabteilung von Novartis hat Frauen, die sich wegen Diskriminierung beschwerten, nach Aussagen der Klägerinnen systematisch abgewimmelt.
Holly W. zum Beispiel wurde geraten, die Sache doch mit ihrem Vorgesetzten direkt auszuhandeln. Sie wurde bald darauf gefeuert. Und der besagte Vorgesetzte drohte allen Novartis-Angestellten, die mit Holly sprechen, ebenfalls mit Entlassung. Im Fall von Marjorie S. spannten Vorgesetzter und Personalabteilung von Novartis sogar zusammen, um die Vergewaltigung der Arzneimittelvertreterin durch einen guten Kunden zu vertuschen. Das zeigt die Zeugenbefragung. Die Novartis-Männer belogen in dieser Sache sogar die Polizei, um den Ruf und den Profit ihres Betriebs zu schützen. Marjorie sei auch selber schuld, wurde ihr nahegelegt, wenn sie ihr Handy rechtzeitig aufgeladen hätte, wäre ihr nichts passiert.
Gegen Ende der Gerichtsverhandlung versuchte Novartis- Anwalt Richard H. Schnadig, den Spiess umzudrehen: Die Diskriminierungsvorwürfe seien alle grundlos. Die Klägerinnen seien psychisch gestört und deshalb nicht glaubhaft. Eine der Zeuginnen bezeichnete Schnader gar als «diese kleine Blondine». Der arrogante ältere Herr merkte gar nicht, dass er selber nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems war: ein weiteres Fossil der frauenfeindlichenGeschäftskulturvon Novartis.
Der Pharmariese bestreitet die Diskriminierungsvorwürfe aufs entschiedenste und hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Man hofft immer noch, das gesellschaftliche Rad der Geschichte zurückdrehen zu können. Doch bereits ist in den USA die nächste, noch grössere Antidiskriminierungssammelklage zugelassen worden: Beim Billigdiscounter Walmart werden sich Hunderttausende von Frauen für ihre Rechte wehren.



aus der Schweizer Gewerkschaftzeitung work, 3.06.2010, Von Lotta Suter, Boston



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