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Große Koalition: Die Chemie stimmt
15.12.2005 | 13:37 Uhr

Für die chemische Industrie hätte die Bundestagswahl nicht besser ausgehen können. Obwohl deren Verbandsvorsitzender gerne »klarere Verhältnisse« gehabt hätte, arbeiteten SPD und CDU seine Wunschliste in ihrem Koalitionsvertrag konsequent ab

In der Rheinischen Post formulierte Werner Wenning, Vorsitzender des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) und Vorstandsvorsitzender des Bayer-Konzerns, seine Erwartungen an die neue Bundesregierung. Eine konsequente Wachstumspolitik mahnte er an. »Mit höherem Wachstum können neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Mit Wachstum kann auch der Staat seine Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Steuersenkungen, vor allem aber effiziente Sozialsysteme und geringere Lohnnebenkosten sowie ein Abbau der Bürokratie sind unabdingbar für den notwendigen Aufschwung«, befand der große Vorsitzende. Darüber hinaus erachtete er noch höhere Ausgaben für Bildung, Forschung und Entwicklung im Allgemeinen und für die Gentechnik im besonderen als notwendig. »Dabei sollte auch deutlich werden, daß Innovationen politisch gewollt sind«, so Wenning.

Die Chemieindustrie konnte sich die geforderten Maßnahmen so wie bestellt abholen. Der zwischen CDU und SPD geschlossene Koalitionsvertrag läßt in dieser Hinsicht keinen Wunsch offen. Für 2008 stellt er eine Unternehmenssteuerreform mit dem Ziel der »Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit« in Aussicht. Nach der letzten, unter Federführung des ehemaligen Bayer-Finanzchefs Heribert Zitzelsberger konzipierten Unternehmenssteuerreform, welche die Konzerne um mehr als 50 Milliarden Euro entlastete, ist da eigentlich nicht mehr viel zu verbessern. Doch die Großkoalitionäre sehen immer noch Handlungsbedarf. »Die Senkung der Steuersätze der letzten Jahre hat zwar die Erträge mancher Unternehmen und deren Investitionsfähigkeit gesteigert. Die höhere Ertragskraft hat allerdings noch nicht zu ausreichenden Inlandsinvestitionen geführt«, heißt es im Koalitionsvertrag. CDU und SPD ziehen daraus nicht etwa den Schluß, das Paragraphenwerk wieder einzustampfen. Ganz im Gegenteil: Für Merkel & Co waren die Geschenke einfach noch nicht groß genug, um dafür ein »Dankeschön« in Form von Arbeitsplätzen zu erhalten. Deshalb dürfen sich die Multis 2008 unter anderem auf eine nochmalige Senkung der Körperschaftssteuer freuen. Und um den Konzernen schon einmal die Wartezeit zu versüßen, hebt die Regierungskoalition die Abschreibungssätze für Anlagegüter von 20 auf 30 Prozent an.


Umweltschutz nachrangig

Die Sozialsysteme gestaltet die Große Koalition im Wenningschen Sinne »effizienter«, indem sie bei den Hartz-IV-Geschädigten 3,8 Milliarden Euro einspart – die »Verschlankung« des Gesundheitswesens hat sie sich einstweilen für später aufgehoben. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senkt die Bundesregierung um zwei Prozentpunkte durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent. Und um den von der Industrie verlangten Bürokratieabbau kümmert sich künftig der direkt dem Kanzleramt unterstellte Normenkontrollrat, der alle Gesetzesinitiativen im Hinblick auf ihre Nebenkosten für Großkonzerne prüft. Eine Altlast hat die Merkel-Crew mit dem Umweltrecht schon aufgetan und eine »Vereinfachung« auf ihre Agenda gesetzt.

Für Forschungsprojekte will die CDU-geführte Bundesregierung zusätzlich sechs Milliarden Euro zur Verfügung stellen, beläßt es aber nicht dabei. »Neben der Förderung von Forschung und Technologie wird die Bundesregierung auch die Rahmenbedingungen, insbesondere in den Bereichen Bio- und Gentechnik, Informations- und Kommunikationstechnologien, Chemie, Medizin/Pharma, Energie und Verkehr innovationsfreudig ausgestalten«, lautet die betreffende Passage im Koalitionsvertrag. Für Raps und Reis made by Bayer bedeutet das konkret: »Die EU-Freisetzungsrichtlinie wird zeitnah umgesetzt und das Gentechnikgesetz novelliert«. Die im bisherigen Gesetz vorgesehene Haftungsregelung, die den Genpflanzen anbauenden Landwirt für Auskreuzungen mit konventionell gezogenen Ackerfrüchten zur Verantwortung zieht, beabsichtigen CDU und SPD durch einen Ausgleichsfonds zu ersetzen, der von der Allgemeinheit getragen wird.

Auch auf anderen Gebieten der Umweltpolitik droht Ungemach. In das »Erneuerbare-Energien-Gesetz«, das eine Förderung für Windkraft und andere alternative Energien über den Strompreis vorsieht, fügen die Großkoalitionäre eine Härtefallregelung für stromintensive Industriezweige wie die Chemie ein. So brauchen Bayer, BASF & Co. höchstens noch 0,05 Cent Aufschlag pro Kilowattstunde zu bezahlen. Ein später Lohn für Werner Wennings langen Kampf gegen die Windräder.

Beim Emissionshandel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten, bei der die Chemielobby vor der Einführung ohnehin schon fast alle klimaschützenden Auflagen abgewehrt hatte, stellt die Merkel-Riege ebenfalls Schnäppchenpreise in Aussicht. »Wir wollen die Kostenbelastung der Wirtschaft durch den CO2-Emissionshandel senken«, bekundet Schwarz-Rot in seinem Vertragswerk.


»Den Weltmarkt erschließen«

Aber nicht nur in Europa, auch über dessen Grenzen hinaus legt sich die neue Regierung dem Koalitionsvertrag zufolge für die Multis ins Zeug: »Durch eine aktive Außenwirtschaftspolitik sollen deutsche Unternehmen dabei unterstützt werden, den Weltmarkt zu erschließen«. Ein Mittel dazu sieht die Koalition in der besseren Verzahnung von Außenwirtschaftspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, was gleichsam auf eine Art Hilfe zur Selbsthilfe für die Konzerne hinausläuft.

Bei der Erschließung der Weltmärkte standen den Global Playern oft Verstöße gegen Patentrichtlinien entgegen. Da entwickelten die Pharmaunternehmen schöne neue und deshalb teure Medikamente und mußten miterleben, wie ärmere Länder den für sie unbezahlbaren Schutz des geistigen Eigentums nicht respektierten und Nachahmerprodukte auf den Markt brachten, um die medizinische Versorgung der Bevölkerung wenigstens halbwegs zu gewährleisten. Das ist natürlich nicht hinnehmbar, weshalb die Bundesregierung jetzt »in enger Abstimmung mit der Wirtschaft und mit den Partnerländern eine Strategie mit konkreten Maßnahmen zur weltweit verbesserten Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte« erarbeitet.

Die Standortbedingungen für die Pharmaindustrie hierzulande halten Christ- und Sozialdemokraten gleichfalls – unter anderem durch schnellere Arzneizulassungen – für verbesserungswürdig. Sie haben sich zwar im Rahmen ihres gesundheitspolitischen »Sparprogramms« vorgenommen, von der Pillenindustrie einen Beitrag von zwei Milliarden Euro zu verlangen, aber ob dieser wirklich geleistet wird, bleibt abzuwarten. Fest steht allerdings der Plan, die Standortbedingungen für die Industrie durch die Verschlechterung der Bedingungen für die Beschäftigten zu verbessern. CDU und SPD kündigten an, den Kündigungsschutz durch die Einführung einer zweijährigen Probezeit auszuhöhlen und den Billiglohnsektor noch weiter auszudehnen. Darüber hinaus stehen Veränderungen bei der Mitbestimmung an. Die Große Koalition beauftragte eine Kommission unter Leitung von Kurt Biedenkopf, entsprechende Vorschläge auszuarbeiten. Gesetzliche Eingriffe in die Flächentarifverträge zugunsten betrieblicher Bündnisse trug die SPD hingegen nicht mit. Sie stimmt mit ihrem politischen Partner aber darin überein, »daß betriebliche Bündnisse wichtig sind, um Beschäftigung zu sichern«. Im Chemiebereich bleibt für Angela Merkel ohnehin nicht mehr viel zu tun, weil die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) mit Standortvereinbarungen und ähnlichem schon so weit in Vorleistung getreten ist, daß es eigentlich keiner Veränderung der tarifpolitischen Rahmenbedingungen mehr bedarf.

Das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Entlastungsprogramm für Bayer & Co. kostet natürlich. Finanzieren müssen es die Ärmsten der Armen und die abhängig Beschäftigten. Von Kürzungen bei Hartz IV und Reduzierung der Entfernungspauschale sowie des Sparerfreibetrags über die Erhöhung der Mehrwertsteuer bis zur Abschaffung diverser Steuervergünstigungen reichen die Zumutungen. Nach einer Rechnung der Zeit belastet das einen Alleinstehenden, der 24000 Euro brutto verdient, mit 477 Euro im Jahr und einen über ein Bruttoeinkommen von 6 000 Euro verfügenden Arbeitslosen mit 106 Euro.

Die Große Koalition hat also die Liste des Verbandes der Chemischen Industrie konsequent abgearbeitet und den Chemiebossen darüber hinaus noch so manchen Wunsch von den Lippen abgelesen. Werner Wenning von Bayer ist dank der bisherigen und noch zu erwartenden Segnungen der Angebotspolitik dann auch rundum glücklich. »2005 – das läßt sich jetzt schon sagen – ist ein sehr gutes Jahr«, bekannte der Vorstandsvorsitzende angesichts der zu erwartenden Verdoppelung des Konzernergebnisses. Die Arbeitslosen dürften Wennings Euphorie indes kaum teilen, konstatierte er doch nüchtern: »Es wäre für mich ein Glückstag, wenn ich vor die Belegschaft treten und sagen könnte: Wir werden in Deutschland soundso viel zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Aber dafür müßten die wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben sein.«


Udo Hörster aus jW



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