Der angekündigte Besuch des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez in der Schweiz – voraussichtlich Anfang Juli – sorgt für Aufregung. «Öl-Linker», «Diktator » oder «Caudillo» sind die Standard- Beschimpfungen. Die nach links nur noch geifernde «Weltwoche » vergleicht ihn im Vorbeigehen mit Mussolini. Und Unternehmer, die mit ihm geschäftshalber zusammenkommen wollen, werden als «naiv» abgetan. Naiv sind demnach die Nestlé- Chefs, SVP-Vorzeigeunternehmer Peter Spuhler oder Johann Schneider- Ammann (FDP), der Präsident der Metallarbeitgeber. Und, Pech für die «Weltwoche», mittlerweile ist auch ihr Lieblingsbundesrat Christoph Blocher dazu zu zählen. Um Entkrampfung bemüht ist Walter Suter, der Schweizer Botschafter in Venezuela. Schweizer Unternehmen hätten «ein weitgehend ungestörtes Verhältnis zur Regierung», weil sie deren Wirtschaftspolitik akzeptierten, erklärte er in einem Interview mit der «Basler Zeitung». Und übrigens seien Eigentumsrechte und Privatbesitz auch in der neuen Verfassung garantiert.
SCHMUDDELIG UND RECHTSAUSSEN
Fast weltweite Empörung erntete Chávez kürzlich mit dem Entscheid, die Lizenz des Fernsehsenders RC-TV nicht zu verlängern. Dabei scheint es den Empörten vollkommen egal zu sein, was für einem Sender da der Stecker rausgezogen wurde (siehe dazu den Kommentar von Jean Ziegler in der Spalte rechts). RC-TV war nur einer von vielen Privatstationen, die sich zusammen mit den grössten Zeitungen des Landes als eigentliche Opposition im Land verstehen. Im Kampf gegen Chávez riefen sie bereits zur Ermordung des Präsidenten auf oder verstiegen sich zu der Behauptung, er sei sexuell von Fidel Castro abhängig. Kaum vorstellbar, dass hierzulande ein Sender nach solchen Mitteilungen etwa über einen Bundesrat ungestraft weitermachen könnte. Die Proteste in der Hauptstadt Caracas gegen die Schliessung des dank seiner Seifenopern populären Senders demonstrieren zudem, wie unsinnig der Vorwurf ist, das Ende der Meinungsfreiheit sei gekommen.
EINE DIKTATUR?
Chávez hat sich in seiner inzwischen achtjährigen Amtszeit bisher dreimal Volksabstimmungen gestellt, zuletzt unterstützten ihn 63 Prozent der Venezolanerinnen und Venezolaner. Sein Widersacher bei den letzten Wahlen Anfang Dezember gehörte zu den Hintermännern des Putschversuches von 2002. Trotzdem wurde er im Ausland als Demokrat gefeiert. Nach dem Putsch hatte Chávez 2004 ein Abwahlreferendum überstanden, das rechtlich erst möglich wurde aufgrund der von ihm 1999 initiierten neuen Verfassung mit weitreichenden direktdemokratischen Mechanismen. Dass die Opposition, die in Wahlen etwa 40 Prozent der Bevölkerung mobilisieren kann, im Parlament keinen Sitz hält, ist Folge ihres eigenen dummen Manövers: Sie boykottierte die Wahlen im letzten Dezember, als absehbar war, dass sie verlieren würde und dass internationale Beobachter am Wahlverfahren nichts aussetzen könnten.
RUIN DER WIRTSCHAFT?
Die jetzige Opposition war zu ihrer Regierungszeit berühmt für das beispiellose Ausmass an Korruption. Die Elite des fünftgrössten Erdölproduzenten der Welt lebte glänzend von dem, was die internationalen Ölgesellschaften zur Pflege der Geschäftsbeziehungen verteilten. Den Vorwurf, sie ruinierten das Land, mussten sie sich nicht anhören. Anders Chávez, der die Abhängigkeit von den Ölkonzernen beendete: Konnten die Ölfirmen früher 60 Prozent der Gewinne einstreichen, so sind es heute nach Angaben Bernard Mommers, des Direktors der staatlichen Ölgesellschaft, dank neuen Eigentumsverhältnissen und rigider Besteuerung nur noch 15 Prozent. Mit den Mehreinnahmen werden Nahrungsmittel verbilligt, Ausbildungs- und Gesundheitsprogramme finanziert. Mindestens 11 Millionen Menschen, das ist die Hälfte der Bevölkerung, besuchen Fortbildungskurse, holen die Grundschule nach oder studieren. Volks- Supermärkte (Mercal) bieten bezahlbare Lebensmittel in den Armenvierteln an. Kleine Krankenstationen, in denen oft kubanische Ärzte praktizieren, betreuen diejenigen, die sich bisher keine medizinische Hilfe leisten konnten. Solche Ausgaben halten die Gegner des neuen Venezuela für sinnlos. Das Land fresse seine Einnahmen auf und investiere nichts, behaupten sie.
«SOZIALISMUS DES 21. JAHRHUNDERTS»
Anlässlich seiner Wiederwahl kündigte Hugo Chávez ein umfangreiches Gesetzespaket an, das in den kommenden Monaten öffentlich diskutiert und zumindest teilweise einem Volksentscheid unterworfen werden soll. Die Ministerinnen und Minister sind dazu angehalten, künftig die Hälfte ihrer Zeit «auf der Strasse» zu verbringen, um ihre Arbeit zur Diskussion zu stellen. Die neuen Gesetze sollen die rechtliche Grundlage für weitere Verstaatlichungen, vor allem im Energiesektor, aber auch für kollektives Eigentum, Mitbestimmung und Kündigungsschutz, schaffen. Das Privateigentum an Produktionsmitteln wird absehbar nicht abgeschafft, aber schärfer staatlich kontrolliert und besteuert. Zur Verminderung der Importabhängigkeit plant das Land Kooperationsprojekte mit anderen Schwellenländern, beispielsweise ein iranisch-venezolanisches Automobilwerk. Auch neue Traktor-, Textil- und Maschinenbaufabriken stehen auf der Regierungsagenda. Das spektakulärste Projekt: Schon bald soll eine eigene Computergeneration auf den Markt kommen. 90 Prozent der venezolanischen Bevölkerung leben bisher in den Städten an der Atlantikküste. Kaum besiedelt und wenig erschlossen ist dagegen das Landesinnere mit seinen Rohstoffen und landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. Hier sollen ganz neue Städte entstehen. Schliesslich will die Regierung für eine «Explosion» (Chávez) der Zahl der Consejos Comunales, der Gemeinderäte, sorgen. Im letzten Jahr entstanden bereits über 5000 dieser Räte, die als Selbstverwaltungsorgane zunehmend mit Macht ausgestattet werden sollen.
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Michael Stötzel in der Schweizer Gewerkschaftszeitung work, 21.06.2007
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