Die Mörder kamen bei Sonnenuntergang. Thomas Sankara, der 36jährige Staatspräsident von Burkina Faso, sass mit sechs seiner Gefährten im Arbeitszimmer der Villa de l’Entente, einem bescheidenen Gebäude im Herzen der Hauptstadt Ouagadougou. Gemäss Reglement hatten sie alle ihre Waffen am Eingang abgegeben. Maschinengewehrfeuer tötete sie in wenigen Minuten.
MITTERANDS SCHATTEN. Beauftragt hatte die Mörder Vizepräsident und Innenminister Blaise Compaoré, der bis dahin als enger Freund von Sankara galt. Ausgeheckt und organisiert hatte den Mord und damit die Erstickung der burkinabischen Revolution der französische Geheimdienst. Es war der 17. Oktober 1987. Seit 25 Jahren nun regiert Diktator Compaoré im Dienste der französischen Konzerne über das Zehn-Millionen- Volk in Westafrika. Warum sollen wir dieses Mordes gedenken? Weil seine katastrophalen Folgen erst heute wirklich begreifbar werden. Sankara hatte 1984 mit Compaoré und vier anderen jungen Offizieren die neokoloniale Satellitenregierung im damaligen Obervolta gestürzt. Er brach mit der französischen Konzernherrschaft, verstaatlichte die Goldminen im Norden des Landes und erreichte innerhalb von zwei Jahren die Nahrungsmittelsouveränität. Er besiegte in dem bitterarmen Sahelland die Korruption, den Analphabetismus und verbot die Genitalverstümmelung der Frauen. Und er änderte den Namen der Republik: aus Obervolta wurde Burkina Faso, das «Land der freien Menschen». Thomas Sankaras samstägliche Radioansprachen wurden auch in den Nachbarstaaten gehört. In Côte d’Ivoire, in Mali, in Niger, in Benin sass eine mit Leidenschaft auf den Umsturz hoffende Jugend an den Radios. Ein Grund mehr für Frankreichs damaligen sozialistischen Präsidenten François Mitterrand, Sankara beseitigen zu lassen und das neokoloniale Herrschaftssystem in Westafrika zu restaurieren.
ISLAMISTEN. Mitterrands Massnahme erscheint erst heute in voller Klarheit: Frankreich brach damit die lebendigen Kräfte in Westafrika und öffnete den reaktionärsten Bewegungen der Region den Weg an die Macht. Heute beherrschen blutrünstige Banden den riesigen Norden Malis, den Osten Mauretaniens und den Norden von Niger. In der Region, in der vor 25 Jahren die Stimme Sankaras die Hoffnung auf Rechtsstaatlichkeit, Souveränität und soziale Gerechtigkeit weckte, wüten jetzt Imame und praktizieren die Scharia. In der legendären Oasenstadt Timbuktu hacken sie Hände ab, diskriminieren Frauen, nehmen Geiseln und plündern Bauern aus. Ganz Westafrika wird von islamistischen Milizen bedroht, die nach dem Ende des libyschen Machthabers Muammar Ghadhafi schwerbewaffnet aus Libyen in den Sahel strömten. Und die Schweiz? Mali war noch vor kurzem ein erfolgreiches Schwerpunktland der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit. Die ausserordentlich kluge und mutige Botschafterin Muriel Berset Kohen versucht mit letzter Energie, die für die mausarmen Menschen so wichtigen Hilfsprojekte zu retten.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neuestes Buch, «Wir lassen sie verhungern», ist gerade kürzlich auf deutsch erschienen
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