Vom 26. Januar bis zum 5. Februar 2005 führte ich zusammen mit meinen Mitarbeitern meine erste Uno-Mission in Guatemala durch. Im Jahr zuvor waren in dem Land 4793 politische Morde begangen worden. Im Jahr 2005 waren es noch 176 Morde mehr. Die Opfer waren Bauern, Gewerkschafter, Priester – Männer und Frauen. In den Tagen meiner Mission wurden vier junge Bauerngewerkschafter getötet, drei Männer und eine Frau. Sie waren gerade von einem Ausbildungskurs in Freiburg (CH) zurückgekehrt. Die Mörder durchlöcherten ihr Fahrzeug auf der Strasse zwischen San Cristóbal Verapaz und Salama. Ich erfuhr davon bei einem Abendessen in der Schweizer Botschaft. Der Botschafter versprach mir, beim Aussenminister vehement zu protestieren. An dem Essen nahm auch Rigoberta Menchú teil, die kluge Maya-Frau und Nobelpreisträgerin, die unter der Diktatur des Generals Lucas García (1978–1982) ihren Vater und zwei Brüder verloren hatte. Beim Hinausgehen flüsterte mir Rigoberta zu: «Ich habe Ihren Botschafter beobachtet. Seine Hände zitterten, er war bleich. Er ist ein guter Mann. Er wird protestieren, aber nützen wird es nichts.»
VERHAFTET. Chef der 20 000 Mann starken nationalen Polizei von Guatemala war von 2004 bis 2007 der schweizerisch-guatemaltekische Doppelbürger Erwin Sperisen. Im Terrorregime der Grossgrundbesitzer war der heute 42jährige eine wichtige Figur. Nach einem Machtkampf innerhalb der Oligarchie musste er Guatemala verlassen. Er setzte sich zuerst nach Solothurn, seinen Heimatkanton, ab, dann nach Genf. Die Familien der Opfer des ehemaligen Polizeichefs gelangten an Trial, eine Nichtregierungsorganisation höchster Kompetenz, die die Straflosigkeit von Kriegsverbrechern und Folterknechten bekämpft. Und diese Organisation liess nicht locker. Endlich ist der mutmassliche Massenmörder in Untersuchungshaft. Gegenwärtig sitzt er im Genfer Gefängnis Champ-Dollon. Auf Anweisung des Genfer Generalstaatsanwaltes Olivier Jornot war er im Juni verhaftet worden. Die Beschuldigung: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sperisen werden Folter und Mord vorgeworfen. Unter anderem soll er bei der Zwangsräumung einer von Tagelöhnern besetzten Finca neun Bauern niedergeschossen haben. Ein Foto in der «Tribune de Genève» vom 7. September zeigt einen dickleibigen, arrogant blickenden Mann mit Schnauz und schwarzer Brille. Er sieht aus wie der klassische Killer aus einem Mafiafilm. Hochachtung und Bewunderung für die Genfer Justiz! Die Gewerkschafterin Chantal Woodtli und der Anwalt Philip Grant hatten die Klage eingereicht. Sie handelten im Namen von Trial.
NEUE EPOCHE. Sperisens Prozess, wie immer er ausgehen wird, läutet eine neue Epoche in der schweizerischen Justizgeschichte ein: Es beginnt die Epoche der Universalkompetenz. Auch ohne ausländischen Haftbefehl können nun helvetische Richter in die Schweiz geflüchtete Schergen mörderischer Diktaturen zur Rechenschaft ziehen.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neuestes Buch, «Wir lassen sie verhungern», ist gerade kürzlich auf deutsch erschienen.
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