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Die OECD schlägt ihr eigenes Lieblings-Schlagwort tot
26.04.2012 | 09:51 Uhr

Strukturreformen helfen allen Ländern in wirtschaftlicher Not. Das behaupten die Bürgerlichen. Alles falsch.

Arbeitslosigkeit, Schuldenberge, seit 30 Jahren verschreibt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gegen alle Probleme das gleiche Mittel: Strukturreformen. Jetzt hat sie erstmals ihre Wirkung untersucht. Es gibt keine positiven.

FOLGSAMES GRIECHENLAND. Was für die katholische Kirche der Vatikan, ist für die Markwirtschaft die OECD in Paris. Dort überwacht und kontrolliert ein Heer von 2500 Ökonominnen und Ökonomen alle Aspekte der Sozial- und Wirtschaftspolitik von inzwischen 34 westlichen Industrieländern. Diese «Experten» glauben, das Rezept für Wirtschaftswachstum zu kennen. Sie haben entsprechende «Richtlinien» erarbeitet. Im jährlich erscheinenden OECD-Bericht «Going for Growth – Wachstum schaffen» wird untersucht, wie gut sich die Mitgliedländer an diese Richtlinien gehalten haben. Das Hauptergebnis wird gleich zu Beginn in grossen Grafiken festgehalten: Je besser ein Land die Strukturreformen der OECD umsetzt, desto höher steigen Arbeitslosigkeit und Staatsdefizite. Und desto tiefer ist das Bruttosozialprodukt pro Kopf.
Ferner sieht man da, dass sich Deutschland, die Schweiz, Belgien, Island und die Türkei seit 2008 am wenigsten, Spanien und Griechenland hingegen am besten an die Tipps aus der OECD-Zentrale gehalten haben. Der geneigte Leser merkt etwas, die OECD-Ökonomen leider nicht. Für sie beweisen diese Zahlen, dass ein Land umso eher bereit sei, den Empfehlungen der OECD zu folgen, je mieser es ihm gehe.
Die OECD-Ökonomen können offenbar genau beziffern, wie «folgsam» jedes Land ist. Mit diesen Ziffern haben sie nun erstmals gemessen, wie sich die Umsetzung ihrer Strukturreformen in den vergangenen dreissig Jahren auf Wachstum, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit der betreffenden Länder auswirkt. Die «NZZ», die in ihren Kommentaren fast täglich «harte Strukturreformen» fordert, ist vom Ergebnis begeistert: «Studie belegt vielseitige positive Effekte», titelte sie.

ARMES GRIECHENLAND. Doch die positiven Effekte sind äusserst dünn gesät: Die härteste Aussage der Studie ist: Eine Senkung des Arbeitslosengeldes um mindestens 10 Prozent erhöht die Beschäftigung nach drei Jahren um 0,5 Prozent. Eine tiefere Arbeitslosenquote konnte offenbar nicht gemessen werden, sonst hätte man auch dies erwähnt. Zweitstärkste Aussage: Eine Verkürzung der Bezugsdauer «kann» die Arbeitslosenquote der Jungen um mehr als 1,5 Prozentpunkte senken. Da aber die Arbeitslosenquote insgesamt nicht sinkt, geht dieser Effekt zulasten der übrigen Arbeitnehmenden. Weitere Ergebnisse: kürzere Kündigungsfristen für Festangestellte bringen gar nichts. Und schlechtere Arbeitsverträge für Junge verringern nach fünf Jahren die Gesamtbeschäftigung um 2 Prozentpunkte.
Und auf Seite 176 kommt dann noch der K.-o.-Schlag: Kürzt man das Arbeitslosengeld während einer konjunkturellen Flaute oder gar in der Rezession, sinkt die Beschäftigung, statt zu steigen. Was passieren kann, wenn man gleich alle von der OECD empfohlenen Strukturreformen in einer Rezession rasch umzusetzen versucht, zeigt das Beispiel des Strukturreform- Musterschülers Griechenland. Dort ist das Bruttoinlandprodukt in nur zwei Jahren um 15 Prozent gesunken – und die Arbeitslosigkeit um 11 Prozentpunkte gestiegen.
Doch all das bringt die OECD nicht vom rechten Glauben ab. «Structural reforms can make the difference » – Strukturreformen seien der Schlüssel zur Überwindung der Krise, heisst es in der Einleitung ihrer Studie. Was man seit 30 Jahren predigt, kann nicht falsch sein.


Organisationen wie die OECD, der Internationale Währungsfonds, die Weltbank oder die Unctad in Genf produzieren eine Menge brisanter Studien. Diese stehen oft in einem Widerspruch zu ihrer offiziellen Haltung.
> www.oecd.org (engl. und franz.), deutsch: www.oecd.org/berlin


Von Werner Vontobel - 5.04.2012 in Works, Schweizer Gewerkschaftszeitung


 
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