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Verlorene Schlacht in Afghanistan
04.02.2010 | 13:28 Uhr

Verlorene Schlacht in AfghanistanSeit meiner Gymnasialzeit lese ich Rudyard Kipling, einen der faszinierendsten Dichter, die das britische Imperium in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Sein Vater war Direktor des Museums von Lahore im heutigen Pakistan. Der junge Kipling verbrachte seine Schulferien stets im Hochland von Peshawar. Nicht weit davon verlief die Grenze zwischen der damaligen britischen Kolonie und dem Gebiet der afghanischen Völker.

ANGST UND WAHNSINN. Eines der berühmtesten Gedichte Kiplings heisst «Einsamkeit». Er beschreibt darin die nächtliche Panik eines britischen Soldaten. Er ist der letzte Überlebende in den Ruinen eines Vorpostens im Gebirge hoch über Jalalabad. Die afghanischen Aufständischen, unsichtbar und doch allgegenwärtig wie Gespenster, schleichen um die Ruinen. Verzweiflung, Angst schütteln den Soldaten. Als der Morgen kommt, stürzt er sich, getrieben vom Wahnsinn, in die Tiefe. Die 85000 Nato-Soldaten, die gegenwärtig in Afghanistan stehen, sind noch bei Verstand. Aber die Angst, dass nach acht Jahren Krieg ihre Feinde – die Taliban – stärker sind als je zuvor, beherrscht ihre Nächte. In London geschahen daher vergangene Woche aussergewöhnliche Dinge: Premierminister Gordon Brown, dessen Armee allein im vergangenen Jahr über hundert Tote zu beklagen hatte, eröffnete am 28. Januar eine Konferenz mit 70 Delegationen von Regierungen und internationalen Organisationen. Ihr gemeinsames Ziel: irgendwie den Krieg zu beenden. «Man schliesst den Frieden nicht mit seinen Freunden», sagte US-Aussenministerin Hillary Clinton. Der afghanische Präsident Hamid Karzai verkündete die Einberufung einer Generalversammlung der Stammesältesten des ganzen Landes, um über den Abzug der fremden Truppen zu diskutieren. Und Kai Eide, der Sonderbeauftragte des Uno-Generalsekretärs für Afghanistan, traf sich zu Geheimverhandlungen mit Vertretern der pakistanischen Taliban. So deutet alles darauf hin, dass Kiplings erschütternde Vision der Einsamkeit des fremden Eindringlings in Afghanistan heute wahrhaftiger ist denn je. Die Taliban sollen an der Regierung beteiligt und ihre Soldaten in die afghanische Armee eingegliedert werden. Radikaler könnte eine Kehrtwende – oder besser: das Eingeständnis des totalen Misserfolges der westlichen Strategie – nicht sein.

DIE KEHRTWENDE. Hinter der Kehrtwende der Nato steht noch ein anderer Grund: Vergangenes Jahr überstieg die Anbaufläche des Mohns 200000 Hektaren. Im Jahr 2000 waren es nach dem Verbot des Mohnanbaus durch die damalige Taliban-Regierung 185 Hektaren! Karzai und seine korrupten Kumpane wurden zu Milliardären dank ihrem weltweiten Heroinhandel. Frieden in Afghanistan? Seit Jahrhunderten herrschen dort reaktionäre Feudalherren. Bevor ihre soziale, finanzielle und ideologische Macht über die ausgebeuteten Bauern nicht gebrochen ist, werden noch so viele Konferenzen dem Land keinen Frieden bringen.


Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein jüngstes Buch, «Der Hass auf den Westen», erschien auf deutsch im Herbst 2009.




 
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